Kulturtag 2019

Nachhaltige Kultur : sich neu erfinden, um zu wachsen

Die Kulturpolitiken ebenso wie die Akteure des Kulturlebens – Kulturschaffende, Produzenten, Veranstalter, Vermittler – müssen sich auf die Veränderungen einstellen. Netflix, Spotify und andere Internetgiganten (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) verändern unser Konsumverhalten und unsere Produktionsweisen; auch haben sie Auswirkungen auf die Kulturökonomie. Die Musikindustrie, die Kinoindustrie befinden sich wie andere Sektoren in einem tiefgreifenden Wandel. Aufgabe des Gemeinwesens ist es, die Akteure des Kulturlebens bei diesem Übergang zu begleiten. Im Idealfall nimmt das Gemeinwesen diese Wende vorweg, um sie nicht erdulden zu müssen, sondern ihre potenziellen Chancen ergreifen zu können.

Ziel dieses zweiten Kulturtages ist, aus verschiedenen Blickrichtungen Überlegungen anzustellen über diese Wende, welche die globale Ebene ebenso wie die Stadtebene betrifft.

Zu dieser Frage gibt es kaum Studien. Um sie zu beleuchten, lädt die Stadt Freiburg Françoise Benhamou, namhafte Expertin der Kulturökonomie, zu diesem Kulturtag ein. Sie wird ihre Überlegungen mit anderen Fachleuten wie Olivier Moeschler, Aline Hayoz-Andrey, Marie-Amélie Dupraz-Ardiot, Julien Friderici oder Martin Schick teilen und mit den Teilnehmenden des Kulturtages unter der Gesprächsleitung von Serge Gumy Chefredaktor La Liberté diskutieren. Diese Begegnung bietet Gelegenheit, die engen Bande zwischen Kultur und nachhaltiger Entwicklung zu würdigen; es handelt sich dabei um ein kulturelles Ökosystem namens «OrganiCité», das im Bericht KULTUR 2030 aufgeführt wird; KULTUR 2030 bildet den Rahmen der regionalen Kulturpolitik. Könnte die Kultur beispielhaft werden darin, dass sie die Dinge anders macht statt mehr zu machen?

Leitthemen, die an diesem Kulturtag erörtert werden: Produktion oder Überproduktion? Hin zu einer kulturellen Entschleunigung? Welches Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage? Welchen Platz für das Digitale? Welche Werkzeuge müssen morgen entwickelt werden ? Welchen Raum können Bürgerinitiativen und Mitwirkungsverfahren einnehmen?

In diesem Zusammenhang: Was steht auf dem Spiel, und welches sind die Herausforderungen für die Stadt Freiburg und ihre kulturellen Akteure in Bezug auf Neuerung, Teilnahme, Nachhaltigkeit, Wirksamkeit, Interdisziplinarität, Reproduzierbarkeit?

Ihre Meinung zum Kulturtag

Praktische Informationen

  • Organisation: Kulturamt der Stadt Freiburg, culture [at] ville-fr.ch
  • Veranstaltungsort; blueFACTORY, Impasse du Cardinal 1, 1700 Freiburg

Programm

Programm PDF

Ab 11.30 Uhr
Mahlzeitkosten zu Lasten der Teilnehmenden
Sind im Restaurant les Menteurs Tische reserviert für jene, die essen möchten; das Restaurant befindet sich auf dem Gelände der blueFACTORY.
13 Uhr  Auftakt-Kaffee
Ausgebucht (Begrenzte Anzahl von Plätzen)
Die Kultur als Beschleuniger des Wandels
Martin Schick, Kulturmanager der blueFACTORY
Ab 13.45 Uhr
Empfang
14 Uhr Einführung

Willkommensgruss
Laurent Dietrich, Gemeinderat, Kultur-Direktor, Stadt Freiburg

Ausgabe 2018 des Kulturtages  im Rückblick: Kunst im öffentlichen Raum als kulturelles Spielfeld? Ziele 2019 : Kultur im Übergang?
Natacha Roos, Chefin des Kulturamtes, Stadt Freiburg

Gesprächsleitung : Serge Gumy, Chefredaktor La Liberté

14.30 Uhr Vortrag

Hin zur Neuerfindung einer Kulturökonomie im digitalen Zeitalter
Françoise Benhamou, Mitglied des Cercle des économistes, Universitätsprofessor, Paris

Austausch

15.30 Uhr
Pause
16 Uhr Kurzvorträge
15 Minuten pro Vortrag

Im Zeichen der Agenda 2030
Aline Hayoz-Andrey, Verantwortliche Nachhaltige Entwicklung der Stadt Freiburg und Marie-Amélie Dupraz-Ardiot, Verantwortliche Nachhaltige Entwicklung des Kantons Freiburg

Kultur (vs.) nachhaltige Entwicklung?
Julien Friderici, Freiburger Kulturtäter und ehemaliges Mitglied der Konsultativkonferenz zur Kultur (Assises de la culture)

Fragwürdige Überproduktion
Karine Grasset, Generalsekretärin von CORODIS (Commission romande de diffusion des spectacles) sowie von Label+ romand – arts de la scène

Und das Publikum bei all dem?
Olivier Moeschler, Soziologe, spezialisiert in Fragen der Kulturpolitiken und der Kulturpublika

17 Uhr
Rundtischgespräch mit den Vortragsrednern und Austausch mit den Teilnehmern
17.30 Uhr Schlussfolgerung
Einige Optionen für morgen
Natacha Roos, Chefin des Kulturamtes, Stadt Freiburg
17.45 Uhr Besuch
Ausgebucht (Begrenzte Anzahl von Plätzen)
Die Kultur als Beschleuniger des Wandels
Martin Schick, Kulturmanager der BlueFACTORY
17.45 Uhr Aperitif

Und für die Mutigsten… Die Kultur springt ins kalte Wasser
Sprudelbecken für alle, nehmt eure Badeanzüge und Badetücher mit

Sprudelbecken wird vom CONSTRUCT LAB-Architekturkollektiv eingerichtet 

Die Referentinnen und Referenten

Françoise Benhamou

Françoise Benhamou ist Wirtschaftswissenschafterin, Spezialistin der Ökonomie der Kultur und der Ökonomie des Digitalen. Sie lehrt an verschiedenen spezialisierten Hochschulen und an Universitäten in Frankreich und anderswo. Sie präsidiert den Programmbeirat von ARTE sowie den Ethikvorstand von Radio France. Sie ist Mitglied des Cercle des Economistes, des Wissenschaftsrates der Bibliothèque nationale de France, des leitenden Vorstandes der Französischen Vereinigung der Wirtschaftswissenschaften, der Redaktionskomitees der Zeitschriften Esprit und Journal of Arts & International Affairs sowie des Beirates der Stiftung Jean Jaurès. Auch war sie Präsidentin der Association for Cultural Economics International. Sie hat unter anderem die folgenden Werke veröffentlicht : L'économie de la culture (2017), Politique culturelle, fin de partie ou nouvelle saison ? (2015), Le livre à l’heure numérique. Papier, écrans. Vers de nouveaux vagabondages (2014).

Hin zur Neuerfindung einer Kulturökonomie im digitalen Zeitalter

Mit dem Digitalen individualisieren sich die kulturellen Praktiken. Gleichzeitig verweisen diese Praktiken auf neue Territorialräume und neue Sozialisierungsformen. Das Angebot verändert sich und gehorcht Ansprüchen der Unmittelbarkeit und der Verfügbarkeit, was die Akteure des Kulturlebens auf den Plan rufen muss. Die Wirtschaftsmodelle dieses Angebots und die Kulturpolitiken sind aufgefordert, sich neu zu erfinden – hin zu mehr Wirkkraft, mehr Nähe, mehr Vielfalt. Angesichts der Verwischung der Grenzen (namentlich zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten) und angesichts der neuen Konkurrenzierungen, die sich abzeichnen, stellt sich die Frage, ob einige Grundzüge dieser Entwicklung bereits jetzt ausgemacht werden können.

Aline Hayoz-Andrey

Verantwortliche für den Bereich nachhaltige Entwicklung der Stadt Freiburg in einem neu geschaffenen Sektor des Amtes für Tiefbau, Umwelt und Energie. Aline Hayoz-Andrey entwirft die Konturen der neuen Strategie für nachhaltige Entwicklung im internationalen Rahmen der Agenda 2030. Sie forscht zur Biodiversität und ist Spezialistin für die Führung von Ökosystemen. Sie gehört seit 2010 der Gruppe für Naturschutzbiologie der Universität Bern an.

Marie-Amélie Dupraz-Ardiot

Marie-Amélie Dupraz-Ardiot verfügt über Diplome in Geologie und Umweltmanagement. Sie hat für das Bundesamt für Umwelt (BUWAL) gearbeitet als Verantwortliche für nachhaltigen Konsum in der Abteilung Ökonomie und Innovation und war eingeladene Wissenschafterin am Stockholm Resilience Center. Sie arbeitet heute in der Raumplanungs-, Umwelt- und Baudirektion des Kantons Freiburg.

Im Zeichen der Agenda 2030

Von der Agenda 2030 der UNO zur Integrierung von sozialen Kriterien und Umweltkriterien in eine freiburgische Kulturorganisation: Nachhaltige Entwicklung entfaltet sich auf allen Ebenen. Und die Kultur in all dem? Was kann sie zu einem derart ehrgeizigen Projekt beitragen? Kultur ist Vermittlung und Kreativität. Damit hat sie Teil an der Mobilisierung der Handlungsträger zu Gunsten der 17 ambitionierten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, wie sie in der Agenda definiert sind.

Julien Friderici

Julien Friderici war von 2008 bis 2014 Direktor des Kulturraumes Le Nouveau Monde in Freiburg. Er hat ferner mitgeholfen, Le Port de Fribourg zu schaffen und zu entwickeln. Le Port ist ein Stück Natur im Herzen der Stadt Freiburg, mit Gemeinschaftsgärten, einem soziokulturellen Programm unter freiem Himmel und einem umweltbewussten Bistro.

Seit rund zwanzig Jahren ist Julien Friderici  in der Leitung von Kulturprojekten tätig. Heute koordiniert er die Nacht der Museen in Lausanne und entdeckt er den Beruf des Gemüsegärtners.

Kultur (vs) nachhaltige Entwicklung?

Die Agenda 21 der Kultur betrachtet die Kultur heute als vierte Säule der nachhaltigen Entwicklung – zusammen mit der Umwelt, der sozialen Integration und der Wirtschaft. Doch wovon ist die Rede, wenn man vom Konzept der nachhaltigen Entwicklung in unseren freiburgischen Kulturinstitutionen spricht? Von einer Einführung wiederverwendbarer Trinkbecher in unseren öffentlichen Veranstaltungen? Oder von Vorschlägen für eine gerechtere Gesellschaft, die zugleich solidarischer und respektvoller gegenüber den Menschen und dem Lebendigen überhaupt ist? That ist the question.

Karine Grasset

Karine Grasset ist Generalsekretärin von CORODIS (Commission romande de diffusion des spectacles) sowie von Label+ romand – arts de la scène. Sie war von 1994 bis 2008 professionelle Tänzerin und hat von 2006 bis 2011 als Generalsekretärin des Vereins Dance Transition das Unterstützungsdispositiv für den Übergang von Tänzerkarrieren eingerichtet. 2008 erlangt sie ein Diplom in Kulturmanagement, verabschiedet sich von der Bühne und wird Generalsekretärin von CORODIS. Sie ist Mitglied des Vorstandes des Tanznetzwerks Schweiz (RESO).

Fragwürdige Überproduktion

Die auf einer Finanzierung nach Projekten basierende Produktionsweise von Bühnenvorstellungen, die Unregelmässigkeit der Beschäftigung und das von unabhängigen Compagnien getragene Ganze scheinen ihre Grenzen erreicht zu haben. Die Überproduktion von Vorstellungen schlägt sich in einer Verarmung der Künstler nieder. Wie lässt sich erklären, dass die Vervielfachung der Vorstellungen den Künstlern nicht erlaubt, anständig von ihrem Beruf zu leben? Was ist angesichts dieses Befundes zu tun?

Olivier Moeschler

Olivier Moeschler ist Soziologe. Er ist Spezialist für Fragen der Kulturpraktiken, der Kulturpublika und der Kulturpolitiken. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Lausanne und Verantwortlicher der Kulturstatistiken beim Bundesamt für Statistik. Veröffentlicht hat er unter anderen Werken Cinéma suisse. Une politique culturelle en action (Savoir suisse, 2011). Er war Mitherausgeber von Les Territoires de la démocratisation culturelle (2009, mit O. Thévenin) und Nouveaux regards sur les pratiques culturelles (2011, mit A. Ducret) beim Verlag L’Harmattan sowie von  De l’Ecole à la Scène. Entrer dans le métier de comédien (2014, mit  V. Rolle) beim Verlag Editions Antipodes. Gegenwärtig bereitet er die Veröffentlichung eines Sammelbandes über die Künste und die Märkte vor.

Und das Publikum bei all dem?

Die Kultur, lange als per se nachhaltig angesehen, hat sich wenig um ihre eigene Nachhaltigkeit gekümmert, sei diese nun wirtschaftlich, sozial oder auch umweltbewusst. Die Situation ist heute jedoch eine andere: Ins Wanken gebracht wurde die Kultur ab den 80er-Jahren durch strengere Kulturpolitiken; von ihrem Sockel heruntergestiegen, hat sie reihum ihre wirtschaftliche Ertragsfähigkeit, ihre soziale Nützlichkeit und, erst seit kurzem, auch ihren umweltfreundlichen Wert beweisen müssen. Der Redebeitrag wird von den Potentialen, aber auch den Fallstricken dieser neuen Forderung nach «sozialer Nachhaltigkeit» handeln, die an die Kultur ergeht.

Gesprächsleitung: Serge Gumy

Serge Gumy ist Journalist und Chefredaktor der Freiburger Tageszeitung «La Liberté». Er absolvierte seine Ausbildung bei «La Liberté» und hat anschliessend auch für das Westschweizer Radio sowie die Tageszeitungen et «24 Heures/La Tribune de Genève» gearbeitet. 2010 ist er zur «Liberté» zurückgekehrt und seit 2015 deren Chefredaktor.

Führer : Martin Schick

Martin Schick ist ein unabhängiger Künstler, Diplomabgänger der Hochschule der Künste in Bern. Er ist in den Sparten Theater, Tanz und Performance tätig. Seine engagierte Praxis betrachtet die Künste als Gelände ständiger Transformation und als potenzieller Motor sozialen Wandels. Präsentiert hat seine Werke am Theaterspektakel in Zürich, in Helsinki in der Finnish National Gallery Kiasma sowie am Fringe Festival in Peking. Derzeit ist er mit Soloprojekten oder Gemeinschaftsprojekten wie Nature Politics, HALFBREADTECHNIQUE et SOLUTIONS auf Tournee. Nach zehnjähriger Tournee-Tätigkeit auf internationaler Ebene hat er beschlossen, sich wieder in der Schweiz niederzulassen. Seit März 2018 ist er Kulturmanager der blueFACTORY, einem Innovationsquartier in Freiburg, das Ökonomie, Ökologie sowie (soziale und künstlerische) Kultur zusammenbringt.