Belästigung im öffentlichen Raum

Die Belästigung im öffentlichen Raum besteht aus einer Reihe von unerwünschten Verhaltensweisen an öffentlichen Orten. Dazu gehören unerwünschte Interaktionen, unangebrachte Bemerkungen, aufdringliche Blicke, Kommentare über Aussehen und Kleidung, unsittliche Angebote, Beleidigungen und Drohungen, aber auch Reiben, Begrabschen oder Aggressionen.

Mit solchen Verhaltensweisen werden Personen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität1, ihrer sexuellen und romantischen Orientierung, ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Abstammung, ihrer Religion oder religiöser Zeichen, ihrer Beeinträchtigung, ihres Alters, ihres Körperbaus oder ihrer sozialen Klasse diskriminiert und dies ab einem frühen Alter. Hier ist zu erwähnen, dass diese Merkmale auf Vermutungen beruhen, die von unbekannten Personen gemacht werden, um die Betroffenen anzugreifen oder einzuschüchtern.

Es handelt sich dabei oft um geschlechtsbezogene/sexistische2 und sexualisierte Gewalt, die zu einem Gefühl des Unbehagens und/oder der Unsicherheit führt. Dies wirkt sich auf die Art aus, wie Betroffene den öffentlichen Raum nutzen, indem sie beispielsweise Vermeidungsstrategien entwickeln.


Videonachweis: 23bis/Ville de Lausanne

Auch in der Stadt Freiburg kommt Belästigung im öffentlichen Raum vor. Infolge eines 2017 im Generalrat eingereichten Postulats beauftragte die Stadt Freiburg 2019 die Hochschule für soziale Arbeit (HSA-FR) mit der Durchführung einer Studie zu diesem Thema. Gestützt auf die Ergebnisse der Untersuchung (PDF auf Französisch) hat der Sektor Gesellschaftlicher Zusammenhalt einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Belästigung im öffentlichen Raum erarbeitet, der seit 2023 umgesetzt wird.

1. Die Geschlechtsidentität bezieht sich auf das soziale Geschlecht, mit dem sich eine Person identifiziert: Mann, Frau, keines der beiden, beide. Es handelt sich um eine Überzeugung, die weder gewählt noch kontrolliert werden kann. Sie unterscheidet sich vom biologischen Geschlecht, das sich auf biologische Merkmale bezieht (Genitalien, Chromosom, Hormone). Das soziale und biologische Geschlecht kann übereinstimmen (cisgender) oder nicht (transgender).

2. 2019 verabschiedete der Europarat in einem Rechtsinstrument, das auf seine Bekämpfung abzielt, eine internationale Definition des Sexismus. Die Organisation zum Schutz der Menschenrechte, der die Schweiz angehört, beschreibt Sexismus als eine Erscheinungsform des «historisch ungleichen Kräfteverhältnisses» zwischen Frau und Mann, die zur Diskriminierung führt und die volle Emanzipation der Frau in der Gesellschaft verhindert. (Quelle)

 

Was tun, wenn...

Wichtige Begriffe
  • Die Einwilligung

Der grosse Unterschied zwischen Belästigung im öffentlichen Raum und Flirten ist die Einwilligung. Ist eine Interaktion nicht erwünscht, geschieht sie ohne Zustimmung einer der betroffenen Personen. Sie fällt deshalb unter die Belästigung im öffentlichen Raum. Der Grundsatz «Nur Ja heisst Ja» bleibt die beste Art und Weise für den zwischenmenschlichen Kontakt und für den Schutz vor sexistischer und sexualisierter Gewalt. Der klare Erhalt einer Einwilligung muss deshalb zur Gewohnheit werden.

  • Die Wahrnehmung 

Bei einer Belästigung im öffentlichen Raum ist die Wahrnehmung der Betroffenen ausschlaggebend und darf nicht in Frage gestellt werden. Bei einer Situation mit zwei oder mehr Beteiligten ist es nicht die Absicht der handelnden Personen die zählt, sondern die Art, wie diese Handlung von der betroffenen Person wahrgenommen wird. Nur sie kann beurteilen, ob sie sich belästigt, diskriminiert oder verletzt fühlt.

  • Der öffentliche Raum

Die Belästigung wird nicht nur auf offener Strasse, sondern im ganzen öffentlichen Raum beobachtet. Dieser Begriff bezeichnet alle Durchgangs- und Versammlungsorte, die allen zugänglich sind: Strassen, Plätze, Pärke, Bahnhöfe, ÖV, Einkaufszentren, Parkplätze, Restaurants, Bars, Clubs usw. Die Studie der HSA-FR hat aufgezeigt, dass die Belästigung zu jeder Tageszeit an all diesen öffentlichen Orten erlebt wird.

Die Studie

Für ein besseres Verständnis des Phänomens der Belästigung im öffentlichen Raum im Stadtgebiet beauftragte die Stadt Freiburg 2019 die HSA-FR mit der Durchführung einer Studie zum Thema, um:

  • das Ausmass, die Formen, die Tageszeiten und die Orte der Belästigung im öffentlichen Raum zu identifizieren und analysieren und gleichzeitig die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren;
  • eine Bestandsaufnahme der bestehenden Massnahmen vorzunehmen, um deren Auswirkungen zu lenken;
  • den Entwurf von zusätzlichen Verbesserungsmassnahmen zu ermöglichen.

Die zwischen 2019 und 2020 durchgeführte Studie bestand aus zwei Teilen: aus einer Umfrage in der Bevölkerung und aus einem World-Café, einer partizipativen Methode, bei der die verschiedenen betroffenen Akteur*innenihre Ansichten und Ideen austauschen.

 

Bevölkerungsbefragung

Vom 26.August bis 31.Oktober 2019 wurde eine Kommunikationskampagne und eine zweisprachige Umfrage durchgeführt. Ziel war es, ein besseres Verständnis der aktuellen Situation zu erlangen und gleichzeitig die Bevölkerung für Belästigungen im öffentlichen Raum zu sensibilisieren. Hauptsächlich mit Plakaten wurden alle Personen über 14Jahren, die in der Stadt Freiburg leben oder sich oft in Freiburg aufhalten, eingeladen, eine Online-Umfrage auszufüllen. Die knapp 4300 gültigen Fragebögen zeugen vom grossen Interesse der Bevölkerung.

 

Überlegungen mit den betroffenen Akteur*innen

In einem zweiten Schritt wurde am 21.Januar 2020 ein World-Café organisiert. Dieses Treffen versammelte verschiedene vom Thema betroffene Vereine und Institutionen und die Vertreter*innen der Stadt und des Kantons. Es führte zur Ausarbeitung eines Inventars der bereits bestehenden Massnahmen gegen die Belästigung im öffentlichen Raum, zur Ermittlung der Bedürfnisse und zum Erhalt von Empfehlungen.

Ergebnisse

Gestützt auf knapp 4300 gültige Fragebögen stellt die Studie der HSA-FR Folgendes fest:

  1. Vier von fünf Befragten haben eine Form der Belästigung im öffentlichen Raum erlebt. Es handelt sich dabei grösstenteils um junge Frauen und LGBTIQ+-Personen.
  2. Einige Orte scheinen prädestiniert für bestimmte Formen der Belästigung im öffentlichen Raum zu sein. Reiben und Begrabschen kommen am ehesten im öffentlichen Verkehr, in Bars, Clubs und an feierlichen Anlässen vor. Anzügliche Bemerkungen, Kommentare über Kleidung, unsittliche Angebote, (sexistische, rassistische, auf die Religion bezogene) Beleidigungen, Drohungen und auf der Strasse verfolgt werden kommen hauptsächlich am Bahnhof und im Stadtzentrum, aber auch in den Quartieren vor.
  3. Diese Handlungen finden zu jeder Tageszeit statt, aber sowohl für Frauen wie auch Männer am häufigsten am Abend. Frauen erleben Belästigung im öffentlichen Raum unabhängig vom Wochentag, während dies bei Männern hauptsächlich am Wochenende der Fall ist.
  4. Nahezu zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer haben eine Form der Belästigung im öffentlichen Raum erlebt und in der Folge ihr Verhalten angepasst, um sich zu schützen (z.B. einen anderen Weg laufen Strecke ändern, den öffentlichen Verkehr meiden oder andere Kleidung).
  5. Drei Viertel der Personen, die Belästigung im öffentlichen Raum erlebt haben, geben an, dass die Zeug*innen der Geschehnisse nichts unternommen haben.
  6. Eine Mehrheit der Befragten war selbst schon Zeuge*in von Belästigung im öffentlichen Raum. Viele haben jedoch aus Unwissenheit oder Angst nicht eingegriffen.

Mehr Informationen sind im Studienbericht (PDF auf Französisch) der HSA-FR zu finden.

Massnahmen

Gestützt auf die Ergebnisse der Studie hat der Sektor Gesellschaftlicher Zusammenhalt einen konkreten Aktionsplan zur Bekämpfung der Belästigung im öffentlichen Raum erarbeitet. Er besteht aus sieben Massnahmen, die seit 2023 umgesetzt werden:

  1. Austauschplattform: bestehend aus Vertreter*innen der Vereine, Institutionen und Ämter, die sich mehrmals jährlich treffen. Sie beteiligen sich an der Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts, an der Umsetzung von konkreten Massnahmen und am Entwurf von Projektausschreibungen.
  2. Ausschreibung für Projekte: einmal jährlich wird ein Aufruf zur Einreichung von Projekten durchgeführt, um die Umsetzung von Massnahmen für die Betroffenen, Zeug*innen oder belästigenden Personen im öffentlichen Raum zu erleichtern. Die vom Gemeinderat auf Empfehlung der Austauschplattform ausgewählten Projekte werden von der Stadt finanziell unterstützt.
  3. Nützliche Adressen: diese Internetseite zur Belästigung im öffentlichen Raum verlinkt die Angebote der Vereine, Institutionen und Ämter, die sich mit diesem Thema befassen. Sie bietet so einen Überblick über die bestehenden Massnahmen in der Stadt.
  4. Öffentliche Sensibilisierungsmassnahmen: einmal jährlich organisiert die Stadt eine öffentliche Sensibilisierungsmassnahme, beispielsweise in Form einer Themenwoche oder einer Kommunikationskampagne.
  5. Interne Sensibilisierungsmassnahmen: städtische Mitarbeitende, die regelmässigen Kontakt mit der Bevölkerung haben, wie Ortspolizist*innen, werden für die Belästigung im öffentlichen Raum sensibilisiert.
  6. Partizipative Verfahren: die Gestaltung bestimmter Orte (Bushaltestellen, Pärke, Quartiere usw.) kann dazu beitragen, dass sich alle Benutzer*innen wohl fühlen. Dies wird als inklusiver Zugang zum öffentlichen Raum bezeichnet. Dieses Thema wird bei Raumplanungsprojekten in Zukunft im Rahmen der partizipativen Verfahren besser berücksichtigt.
  7. Datenerhebung: es werden regelmässig Daten erhoben, grundsätzlich einmal pro Legislaturperiode. Mit diesem Monitoring kann die Entwicklung der Belästigung im öffentlichen Raum in der Stadt Freiburg beleuchtet werden.